Nicht erst seit Corona wird deutlich, dass unser Leben immer digitaler wird. Die Anzahl von Geräten, Programmen und Apps, die wir in unserem Alltag einsetzen und die Dauer ihrer Nutzung steigen beständig. Und doch lässt diese gesellschaftliche Entwicklung eine Gruppe außen vor: Für Menschen mit Behinderungen ist digitale Teilhabe nur sehr eingeschränkt, wenn überhaupt, möglich. An der Hochschule Furtwangen wird am Institut Mensch, Technik, Teilhabe (IMTT) daran geforscht, was es bräuchte, um Menschen mit kognitiven Einschränkungen Zugang zu verschaffen zu den Erleichterungen, die durch digitale Geräte möglich sind.
Alltagstechnik könnte unterstützen
Das Projekt mit dem langen Titel „Individuelle soziotechnische Arrangements für die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit kognitiven Funktionsbeeinträchtigungen“ (InstAgT) wird von Institutsleiter Prof. Dr. Christophe Kunze und seinem Team kurz „Teilhabe digital“ genannt. „In diesem Bereich, mit Menschen, die Lernbehinderungen und oft auch andere, komplexe Behinderungen haben, wird wenig geforscht“, sagt Prof. Kunze, „dabei ist das die Gruppe, die am stärksten ausgeschlossen ist!“ Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung in Einrichtungen leben, haben dort oft keine Möglichkeit entsprechende Geräte zu nutzen; schon mit WLAN ist es oft schwierig. Dabei gibt es unter den bereits bestehenden technischen Hilfen wie Sprachassistenten oder Vorlesefunktionen Vieles, was gerade auch Menschen mit Einschränkungen unterstützen könnte. Selbst Musik abspielen zu können, ohne jemanden darum bitten zu müssen, mit einem Klick abrufen zu können, wann der nächste Bus fährt, und oft auch: sich einfach besser verständlich machen zu können, das wären für viele Betroffene große Errungenschaften. „Behinderung ist immer ein Zusammenspiel von Funktionseinschränkung und Umwelt“, erklärt Prof. Kunze. Behinderung bedeute in einer Welt, die nicht barrierefrei ist, eben „behindert werden“.
Individuelle Befragungen
Für das Projekt InstAgT führt das Projektteam Einzelfallstudien mit rund 40 Testpersonen durch. Sie leben alle in Einrichtungen der Eingliederungshilfe, die für das Forschungsprojekt mit der HFU zusammenarbeiten. „Die Kooperation mit den Bezugspersonen und Betreuenden ist eine wichtige Voraussetzung“, berichtet Christian Menschik, der als einer der beteiligten akademischen Mitarbeitenden die Studien durchführt. Auch die Katholische Hochschule Freiburg und die Hochschule Karlsruhe sind in dem Projekt mit eingebunden. Die Forschenden, die die Studien vornehmen, haben alle bereits Erfahrung in der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen. „Wir arbeiten eng mit den Betreuenden der Testpersonen zusammen, die immer mit dabei sind – und manchmal auch das Antworten für die Betreuten übernehmen“, berichtet Menschik. Bei jeder Testperson müssen die Forschenden abwägen, wie kommuniziert werden kann, ob zum Beispiel leichte Sprache oder Piktogramme dabei helfen, die Fragen der Forschenden zu verstehen.
Was brauchen Einrichtungen?
Das Projektteam erfasst zunächst, welche Wünsche und Ziele die Testpersonen haben. „Oft geht es dabei um die Themen Kommunikation und Mobilität“, berichtet Menschik. In einem zweiten Schritt wird überlegt, mit welcher existierenden Technik dieses Ziel erreicht werden könnte, und die Einrichtung und Anwendung wird begleitet und geübt. „Zuletzt werden wir betrachten, welche Maßnahmen auf institutioneller Ebene notwendig sind, damit Menschen mit Einschränkungen Zugang und Anleitung in ihren Einrichtungen bekommen. Wir denken da zum Beispiel an Beratungsangebote oder Qualifizierungsmaßnahmen“, erklärt Prof. Kunze. Schwierig sei dabei vor allem, dass das Hilfsmittelsystem so (noch) nicht funktioniere: „Das ist nicht darauf ausgelegt, dass allgemeine Technik von Pflege- und Betreuungspersonal vermittelt wird. Im Gegenteil, oft bestehen da Hemmungen und der Wunsch, die Betreuten vor den ‚Gefahren des Internets‘ zu beschützen“, weiß er. Dabei braucht es oft nicht viel, um viel zu bewirken. Christian Menschik hat mit seinen Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel ein „Ein-Knopf-Radio“ gebastelt. „Es ist toll zu sehen, was für eine große Wirkung ein so schlichtes Gerät haben kann“, erzählt er. Durch Corona hat sich der Zeitplan in dem auf vier Jahre angelegten Forschungsprojekt zwar verzögert. Doch immerhin: der kritische Blick auf die Digitalisierung dürfte nun vielleicht etwas versöhnlicher ausfallen.