Absolvent der Studiengänge Risikoingenieurwesen und Security & Safety Engineering präsentiert Thesisergebnisse am MIT
Für mich ist das amerikanische Studentenleben ein Mythos. Zahlreiche Filmen und Serien prägten ein Bild zwischen immensen Leistungsdruck gepaart mit einem florierenden Partyleben. Universitäten wie Harvard, Stanford oder das Massachusetts Institute of Technology (MIT) kannte ich nur aus Filmen. Dass ich einmal selber an einer dieser Universitäten die Ergebnisse meiner Abschlussarbeit vortragen darf, hätte ich nie geglaubt.
Begonnen hat meine Reise im Februar 2023, als ich auf der Suche nach einem Thema für meine Abschlussarbeit auf die Welt von STPA (Systems Theoretic Process Analysis) und STAMP (System-Theoretic Accident Model and Processes) gestoßen bin.
STAMP ist ein neues Unfallursachenmodell, welches auf der Systemtheorie und dem Systemdenken basiert und sich mit kritischen Herausforderungen in den Bereichen Systemtechnik, Sicherheit und Cybersicherheit befasst. Entwickelt wurde diese Denkweise am M I T von der renommierten Professorin Nancy Leveson. Einsatzgebiete von STAMP erstrecken sich über komplexe Software, menschliche Entscheidungsfindung und menschliche Faktoren, neue Technologien, soziale und organisatorische Gestaltung und Sicherheitskultur. STAMP wird von ihren Entwicklern als „echter Paradigmenwechsel“ bezeichnet. Es ist eine neuartige Weise an Probleme heranzugehen mit dem Systemschwachstellen schneller und umfassender identifiziert werden können, als mit traditionellen Methoden. Kern meiner Masterarbeit bestand u.a. darin einen Weg zu finden wie die bestehenden Normen für Functional Safety (ISO 26262) und Cybersecurity (ISO 21434) mit der Verwendung von der neuartigen STAMP-Denkweise zusammengeführt werden können. In den darauffolgenden Monaten beschäftigte ich mich intensiv mit STAMP und nutzte es im Rahmen meiner Abschlussarbeit im Bereich Safety-Engineering der Automotive Branche bei der Firma msg Plaut in Wien.
Im Rahmen meiner Masterarbeit entstand dadurch ein Verfahren zur normkonformen Risikobeurteilung unter Einbeziehung von STAMP. Somit können die Vorteile von STAMP in der Autoentwicklung genutzt werden und dabei gleichzeitig die für die Zulassung erforderlichen Normen eingehalten werden.
Durch meinen Betreuer in Wien, Florian Wagner, erfuhr ich dann von einem Kongress namens STAMP-Workshop welcher vom M I T vor Ort in Boston ausgetragen wird und sich mit Ergebnissen, Problemen und Anwendungen von STAMP in Industrie und Wissenschaft beschäftigt. Im Frühjahr 2024 bewarb ich mich mit den Ergebnissen meiner Masterarbeit am MIT als Speaker für den STAMP Workshop und wurde angenommen. So kam es, dass ich am 06. Juni 2024 vor über 300 Zuhörern aus Unternehmen wie Google, American Airlines, Boeing und Institutionen wie der U.S. Navy & U.S. Airforce oder dem U.S. Nuclear Regulatory Commission (NRC) vortragen durfte.
Und dann war es endlich soweit: der einzige „German Speaker“ auf dem Kongress von dieser seltsam klingenden „Furtwängen-University“ wurde dem internationalen Fachpublikum vorgestellt und der Vortrag mit Applaus gewürdigt.
Der Vortrag verlief wie erhofft – die intensive Vorbereitung zahlte sich aus. Nach meinem Vortrag gratulierte M I T Professor Dr. John Thomas, einer der Mitentwickler STPA , in einem vier Augen Gespräch zu dem gelungenen Vortrag. Ich erzählte ihm, dass ich STPA nun auch auf der Hochschule Furtwangen –„Furtwängen, where is that?“- lehre.
Dass eine kleine Hochschule im „Black Forrest“ Vorreiter im Unterrichten von STPA ist, erstaunte ihn sehr. Er versicherte mir, dass insbesondere in Europa STPA nur an wenigen Universitäten gelehrt würde.
Dass der Vortrag beim Publikum gut ankam, zeigte sich auch in dem darauffolgenden Gespräch mit Mark Vernacchia, ehemaliger Principal System Safety Engineer von General Motors und Vorsitzender STPA Task Force. Mark lud mich zur Mitgestaltung des J3307 STPA Standards ein – den ersten weltweit veröffentlichten Standard für STPA. Seit kurzem bin ich Teil dieser Task-Force und habe Möglichkeit meine Ideen -quasi „made in Furtwängen“- in Zusammenarbeit mit anderen Task Force Mitgliedern weltweit zu veröffentlichen.
Die Möglichkeit am STAMP-Workshop vorzutragen, gab mir einzigartige Einblicke in die Welt einer amerikanischen Eliteuniversitäten und zeigte mir die Vielfältigkeit dieser Methode. Ich kann jeden nur dazu ermutigen sich damit auseinander zu setzen, denn eines wurde mir klar:
STAMP ist nicht nur eine Safetymethode, es ist eine neue Art zu Denken und kann genutzt werden, um Herausforderungen aus vielen Disziplinen anzugehen. Das zeigte sich am Spektrum der Vortragenden, welche insbesondere aus dem Gesundheits-, Nuklear-, Militär, Psychologie- und Informatikbereich kamen (u.v.m.). Wenn Sie, werte Leserschaft, nun Fragen zur Anwendung von STAMP in Ihrem Fachgebiet haben, zögern Sie bitte nicht mich anzuschreiben.
Bedanken möchte ich mich besonders bei Prof. Dr.-Ing. Ulrich Weber, der mich zu meinem Masterarbeitsthema ermutigte und mich während meiner Thesis als auch über mein ganzes Studium hinweg erstklassig betreute. Durch die Eindrücke in Boston verschwand bei mir der Mythos des amerikanische Studentenlebens – das Schreiben dieses Berichts fühlt sich trotzdem an wie aus einem Film.
Wien, 21. Oktober 2024
Sebastian Kaiser
sebastian.kaiser@msg-plaut.com