„Wie klang der Schwarzwald in den 50er Jahren?“

Im Forschungsprojekt DIDEM werden Klangwelten für Demenzkranke entwickelt

„Wie klang der Schwarzwald in den 50er Jahren?“ (I27358)

Klangberieselung aus dem Sonnenschirm: im kooperierenden Seniorenheim in St. Georgen hat das DIDEM-Team einen ersten „Klang-Schirm“ im Einsatz.

„Das Interessante an Klang ist, dass er völlig unterbewertet wird“, sagt Prof. Dr. Norbert Schnell. „Wenn man dabei Grundsätzliches richtig macht, ist es ein richtiges ‚Oooh‘-Erlebnis, wenn nicht, merkt man vielleicht gar nicht, an was es liegt, aber man fühlt sich nicht so recht wohl.“ Genau diesen Aspekt des Wohlbefindens greift das Projekt DIDEM, „Digitale Technologien für die Versorgung von Menschen mit Demenz“ auf, das von der Carl-Zeiss-Stiftung gefördert wird. Der Professor für Musikdesign leitet das Teilprojekt zur Entwicklung und Evaluation von klang- und musikbezogenen Medien für Menschen mit Demenz.

Schnell ist begeistert von der interdisziplinären Zusammenarbeit; in DIDEM kooperiert er mit Kollegen und Kolleginnen aus anderen Fakultäten, die zum Beispiel aus der Pflege kommen und aus anderer Perspektive an bedarfsgerechten technischen Lösungen zur Betreuung von Menschen mit Demenz suchen. „Wer für Demenzkranke forscht, der muss direkten Kontakt zur Zielgruppe haben“, so Schnell. Das DIDEM-Team arbeitet daher mit mehreren Pflegeheimen in der Region zusammen. „Unser Ziel ist, in Zusammenarbeit mit den Betroffenen herauszufinden, was funktioniert und was nicht“, sagt Schnell.

Sein Ansatz in dem Forschungsprojekt: Wird ein demenziell erkrankter Mensch in die richtige Klangwelt versetzt, so trägt das nicht nur zum Wohlfühlen bei, sondern kann auch Erinnerungen auslösen oder Gespräche und Gedanken möglich machen. Nur, welche Klangwelt ist die „richtige“? „Wir sammeln in einer Art Klangbibliothek Geräusche, die miteinander kombiniert zu einem ganz individuellen Hörerlebnis werden“, erläutert Schnell. Also zum Beispiel: Waldgeräusche wie Blätterrauschen und Vogelgezwitscher. „Und dann kann man sagen, da sollen jetzt noch ein paar Leute durchlaufen, also gibt es entsprechende Schritt- und Stimmengeräusche dazu – oder es beginnt zu regnen“, so Schnell. Der Forscher arbeitet mit Kollegen zusammen, die für ihn in Städten und auf Almwiesen, im Haushalt oder in der Kirche Geräusche „sammeln“. „Wir versuchen Fragen zu beantworten wie ‚Wie klang der Schwarzwald in den 50er oder 60er Jahren?‘“, erläutert Schnell – denn in dieser Zeit verbrachten viele aus der Zielgruppe ihre Kindheit und Jugend in dieser Region. Wie klingt Heu, das von Hand gewendet wird? Wie viele Mopeds schepperten damals durch die Gegend? Gab es in den 50ern mehr Kuhglocken? „Wir erschaffen keine weichgespülten Idealwelten“, betont Prof. Schnell, „Klang darf auch mal unangenehm und fordernd sein, er sollte nur keine Angstgefühle auslösen“.

Die nächste Herausforderung nach „Klänge erfassen und aufnehmen“ ist, eine technische Umgebung dafür zu entwickeln und sie als immersive Klangumgebung wiederzugeben, „eben nicht so, als würden sie nur aus einem Lautsprecher herausplärren“, sagt der Klangexperte. Schnells Theorie, die sich bereits zu bewahrheiten beginnt: Je mehr Lautsprecher, desto besser. Und natürlich sollte aus jedem ein anderer Klang kommen.

Erfahrung mit der Erschaffung von Klangwelten hat Prof. Schnell schon aus seiner Entwicklung eines „Klang-Doms“. In der Fakultät Digitale Medien der Hochschule Furtwangen steht eine der Kuppeln, in denen man abseits der alltäglichen medialen Bilderflut und nur über die Ohren entspannen kann; auch im Kreativzentrum „Die Halle“ in Schwenningen wird diese Möglichkeit genutzt, um Gründerinnen und Gründern die Gelegenheit für frische Impulse und eine neue Denkumgebung zu bieten.

Für die Demenzerkrankten braucht es allerdings ganz eigene Geräusche und es bestehen besondere Anforderungen. Schnell hat mit seinem Team bereits einen „Klang-Schirm“ entwickelt; aus sieben Lautsprechern rieseln Geräusche auf zwei Sitzplätze nieder. „Das Ganze wurde für die St.Georgener Seniorinnen und Senioren noch in einen hübschen Sonnenschirm verpackt, damit es nicht wie eine außerirdische Spinne aussieht“, lacht Schnell.

Bei all den technischen Möglichkeiten ist ihm eines klar: in der Anwendung muss ein solches Produkt vor allem so einfach wie möglich sein. „Wenn das Pflegepersonal mal eine halbe Stunde Zeit hat, soll davon ja auf keinen Fall etwas für aufwändige Inbetriebnahme und Orientierung draufgehen“, sagt Schnell. Deshalb sollen die Klangwelten intuitiv über Mobilgeräte abzurufen sein. Als Alternative zu den allgegenwärtigen Displays möchte Schnell zudem eine Art „Spielfeld“ entwickeln, auf welches man Bildkarten ablegen kann, die dann entsprechende Klänge auslösen.

In Workshops mit der Zielgruppe wird Schnell mit dem DIDEM-Team immer wieder abgleichen, wie solche Möglichkeiten angenommen werden. „Die Klangwelten kann man natürlich auch mit den Aspekten Musik hören und sich dazu zu bewegen kombinieren“, sagt er – je nachdem, worauf der oder die Einzelne am besten anspricht. Ultimativ individualisierbar – Schnells Anspruch an die Forschungsergebnisse ist klar: „Man muss jede Seele einzeln gewinnen.“

Mehr Informationen zum Forschungsprojekt DIDEM: https://didem.hs-furtwangen.de

Beispiel für eine Klangwelt: Download file:Lust auf einen Waldspaziergang?