IDEA - Integratives Digitales Erinnerungsarchiv

Laut Zahlen der Bundeszentrale für politische Bildung hatte 2020 mehr als jede 4. Person, die heute in Deutschland lebt, einen Migrationshintergrund*. Trotzdem kämpfen gerade zugewanderte Frauen nach wie vor um ihren Platz in unserer Gesellschaft. Das Projekt IDEA hat sich zum Ziel gesetzt, ihre Geschichten zu erzählen und so ein öffentliches Bewusstsein für dieses Thema zu schaffen. Wir haben uns im Juli mit Ada Rhode über das Projekt IDEA unterhalten.

* https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61646/bevoelkerung-mit-migrationshintergrund/

 

Fakultät Digitale Medien: Ada Rhode, du begleitest das Projekt fast von Beginn an als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Erzähl doch mal, wie das Projekt entstand.
Ada Rhode
: Das Projekt läuft seit Herbst 2019. Initiiert wurde es von Prof. Miguel García (Hochschule Furtwangen, Fakultät Digitale Medien) und Externer Link wird in neuem Fenster geöffnet:Prof. Dr. Nausikaa Schirilla (Katholischen Hochschule Freiburg). Sie haben zusammen mit den beiden Kolleginnen von der Feministischen Geschichtswerkstatt dieses Konzept geschrieben und beim Bundesministerium für Bildung und Forschung eingereicht, und dann auch den Zuschlag bekommen.

Die Namensgebung ist etwas verwirrend. Eigentlich heißt das Projekt ja IDEA, aber der Podcast und die Website heißen herIDEA. Wie kam das zustande?
Also, das Projekt heißt im Antrag IDEA – Inklusives Digitales Erinnerungsarchiv – aber die Domain IDEA gibt es ja natürlich nicht. Daher haben wir uns entschieden, die Domain herIDEA zu nennen, da hier auch der weibliche Bezug dabei ist. Für den Podcast haben wir das übernommen.

Unsere Studierenden waren ja fast von Anfang an in das Projekt einbezogen – im Rahmen von Projektstudium, Wahlpflichtveranstaltungen und Hiwi-Stellen. Was waren ihre Aufgaben?
Das Projekt ist partizipativ angelegt, das heißt die Frauen sollten eine Anleitung bekommen und sich dann gegenseitig interviewen. Im ersten Jahr haben daher unsere Studierenden einerseits Leitfäden und Videotutorials – z.B. zu Themen wie „Wie führe ich ein Oral History Interview?“, „Wie nehme ich das mit meinem Smartphone auf?“ – erstellt, und andererseits die Externer Link wird in neuem Fenster geöffnet:Website programmiert.
Im zweiten Jahr hatten wir dann neben einer Projektgruppe auch ein Wahlfach. Da ging es dann darum, wie wir mit diesen Interviews eine breitere Öffentlichkeit erreichen können. So haben wir zusammen mit den Studierenden das Podcastformat entwickelt. Das Konzept für jede Folge wurde dann in Kleingruppen bestehend aus einer Mitarbeiterin, einer Student:in und mindestens einer der am Interview beteiligten Frauen erarbeitet. Die Studierenden haben anschließend die Folgen geschnitten und von mir abnehmen lassen. Diese Oral History Interviews findet man auf der Website im "Externer Link wird in neuem Fenster geöffnet:Migrarchiv".
In der ersten Phase, als noch nicht so viele Interviews vorlagen, haben die Studierenden eigene journalistische Beiträge rund um das Thema geschrieben, die wir auf der Website im Externer Link wird in neuem Fenster geöffnet:Magazin abgebildet haben.

Cansel Coskun
Die Stimmen von diverskulturellen Frauen hörbar zu machen ist etwas ganz besonderes für mich als Postmigrantin. Es war ein gutes Gefühl, bei solch einem Projekt dabei zu sein und auch mitzuwirken. Als besonderen Mehrwert sehe ich den Austausch mit vielen verschiedenen Persönlichkeiten innerhalb der IDEA-Community.
Cansel Coskun - Projektstudium SoSe 2021 - WiSe 2021/22, Hiwi SoSe 2022

Die Projektförderung läuft Ende Juli aus. Wie geht es denn jetzt weiter mit herIDEA?
Die drei Mitarbeiterstellen – meine und die der beiden Kolleginnen von der Katholischen Hochschule Freiburg, Myriam Alvarez und Birgit Heidtke – werden bis Mitte Oktober verlängert, weil wir eben mit manchen Sachen noch nicht fertig sind. Durch die Corona-Pandemie hatte sich ja auch einiges verzögert.
Wir schreiben natürlich weiterhin Anträge für Nachfolgeprojekte, aber bis jetzt haben wir noch keine Zusage bekommen. [Anm. d. Red.: Im November wurde ein Antrag der Katholische Hochschule im Programm "Demokratie leben" des Bundesfamilienministeriums für 2023/24 bewilligt.]
Neben der Katholischen Hochschule Freiburg und der Hochschule Furtwangen ist an IDEA auch die Feministische Geschichtswerkstatt Freiburg e.V. als Praxispartnerin beteiligt. Hier sind meine beiden Kolleginnen aktiv, so dass wir davon ausgehen können, dass die bisherigen Arbeitsergebnisse erhalten bleiben. Allerdings sind wir aber auch zu dem Schluss gekommen, dass man nicht alles im Ehrenamt machen kann. Und das betrifft nicht nur uns. Auch die Frauen, die wir interviewen, sind ja in irgendeiner Form aktiv, aber die meisten eben unbezahlt. Und das ist auch nicht richtig. Sie kämpfen für die Rechte von Frauen und Migrantinnen, aber immer im Ehrenamt, immer unbezahlt.

Wie geht es weiter, wenn nicht mehr alle Interviews verarbeitet werden können?
Das Projekt hatte sich vorgenommen, 50 Interviews zu sammeln. Inzwischen haben die Frauen 42 Interviews geführt, und es sind noch ein paar in Arbeit. Allerdings sind erst 25 – 30 Podcastfolgen fertig.
Bis Mitte Oktober werden wir noch einige Podcastfolgen fertigbekommen, aber es werden auf jeden Fall Interviews übrigbleiben. Da müssen wir jetzt entscheiden, wie wir mit denen umgehen. Denn auch eine studentische Gruppe oder ein Wahlfach müssen ja betreut werden – was ja wiederum kostet. Wie gesagt, wir können nicht alles im Ehrenamt machen.
Auf jeden Fall sollen der Podcast und die Website online bleiben. Auch das muss natürlich finanziert werden, aber das sind kleine Beträge. Da kommt dann vielleicht erst einmal kein weiterer Inhalt dazu, aber man kann mit dem was da ist arbeiten.
Ideen für ein Nachfolgeprojekt gehen genau in diese Richtung: Wie kann man mit diesen Interviews z.B. Bildungsarbeit machen? Wir könnten beispielsweise in Schulen, aktivistische Gruppen oder internationale Teestuben gehen und dort kleine Lehreinheiten zu bestimmten Themen machen, indem die Leute den Podcast anhören und uns dann spiegeln, wie ihre Erfahrungen mit diesem Thema sind. Diese Antworten können wir dann wieder abbilden und damit weiterarbeiten.

Paul Phillip
Das Projekt hat meine Sichtweite erweitert. Es hat mir gezeigt, dass sich jeder mit ein wenig Engagement und Ahnung von Medien in der heutigen Zeit helfen und auf gewissen Themen und Narrative hinweisen kann.
Paul Phillip - WPM herIDEA im SoSe 2022

Welchen Mehrwert haben die Migrantinnen, die sich am Projekt beteiligen?
Die Frauen, die wir jetzt interviewt haben, sind sehr engagiert und gut vernetzt, und deswegen auch sehr selbstbewusst. Daher stand das persönliche Empowerment für sie weniger im Fokus als der Wunsch, sich noch stärker zu vernetzen.
Mitte Mai haben wir eine Abschlussveranstaltung für das Projekt veranstaltet (Link). Diese war als eine Art Bar Camp angelegt, bei dem die Teilnehmerinnen ein Manifest erarbeitet haben, das inzwischen auch auf der Website steht (Link).

Wie war es für die Studierenden – vermutlich hauptsächlich Studentinnen – an dem Projekt mitzuarbeiten?
Es haben sich tatsächlich auch Männer für interessiert. Paul, beispielsweise, hat selbst Migrationshintergrund, und er wollte ganz bewusst etwas machen, wo er etwas bewegen kann. Bei den Studentinnen muss man unterscheiden. Diejenigen, die keinen Migrationshintergrund haben, sagen, sie können die ganze Thematik jetzt besser verstehen. Das geht auch mir so, denn wir haben über dieses Projekt Zugang zu einer Welt bekommen, zu der wir sonst keinen Zugang haben. Und diejenigen, die selbst eine familiäre Migrationsgeschichte haben – auch wenn sie jetzt schon in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland leben – fühlen sich jetzt besser empowered und an dem Projekt gewachsen. Teilweise hatte ich auch den Eindruck, dass sie diese Frauen auch wirklich bewundern, mit denen sie gearbeitet haben. Gleiches gilt übrigens auch im Bezug auf die feministische Perspektive.

Viele hochqualifizierte Migrantinnen können ihren Beruf in Deutschland nicht ausüben, weil ihre Abschlüsse hier nicht anerkannt werden.

Wie eingangs schon gesagt, hat mehr als jede/r vierte in Deutschland Lebende einen Migrationshintergrund. Warum tun wir uns damit immer noch so schwer?
Bei den unter 20-jährigen sind es schon 40 %, aber in der älteren Hälfte der Bevölkerung ist es nur noch jede/r vierzehnte. Das heißt die jüngere Hälfte der Bevölkerung hat viel Kontakt mit Menschen anderer Herkunft, für sie ist es normal – wie bei uns hier an der Hochschule. Aber für die ältere Hälfte der Bevölkerung ist es noch immer ungewohnt, denn sie haben zu wenig Kontakt. Wobei man dazu sagen muss, diese Statistik zählt auch Deutsche mit, also diejenigen, die in der 2. und 3. Generation in Deutschland leben und einen deutschen Pass haben.
Frauen werden dabei doppelt – teilweise aufgrund ihrer Hautfarbe sogar dreifach – benachteiligt, eben weil sie Frauen sind. Wir hatten ganz verschiedene Interviewpartnerinnen. Es gab Iranerinnen, die sagen: „Ich werde gar nicht als migrantisch wahrgenommen, aber ich habe jetzt den deutschen Pass, damit ich nicht dauernd zum Amt rennen muss.“ Genauso haben wir mit Frauen gesprochen, denen es wahnsinnig schwerfällt, ihre Identität – Ihren Pass – abzugeben. Und umgekehrt werden deutsche Frauen, die vielleicht Kopftuch tragen oder aufgrund des Äußeren so markiert werden, offen diskriminiert.

Wie kann es sein, dass es heute noch so viel Diskriminierung gibt?
Rassismus lernen wir schon im Kindergarten – unbewusst. Ich habe z.B. hier in Freiburg eine Gruppe, die sich mit Rassismus und Sexismus in Kinderhörspielen auseinandersetzt. Da gibt es wohl wirklich ein paar krasse Formulierungen und Rollenbilder in älteren Hörspielen, die auch heute noch gehört werden: Die Chefs sind immer die weißen Männer, um die Kinder kümmern sich die Frauen, und in der Unibibliothek, zum Beispiel, putzt jemand mit schwarzer Hautfarbe. So lernen Kinder unbewusst eine bestimmte Rangfolge in der Gesellschaft, und das kann man nur überwinden, wenn man das durchbricht. Bildlich kann man es sich so vorstellen: Man setzt sich zusammen an einen Tisch – dann ist man auf Augenhöhe – und dann geht es darum, gemeinsam ein Rezept zu schreiben. Und da muss man dann auch lernen zu akzeptieren, dass es auch andere Meinungen und Perspektiven gibt. Das betrifft im Grunde alle gesellschaftlichen Diskurse, die wir haben. Wir müssen lernen und üben, auch andere Perspektiven einnehmen zu können, damit wir überhaupt miteinander ins Gespräch kommen können.

Weitere Informationen:
www.heridea.de
instagram: Externer Link wird in neuem Fenster geöffnet:@heridea.de
Facebook: Externer Link wird in neuem Fenster geöffnet:@heridea.de

Der Podcast herIDEA ist auf der Website sowie über alle gängigen Anbieter erhältlich.

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Interner Link öffnet sich im gleichen Fenster:Mehr Informationen

Ende Juli 2022 haben wir uns mit Ada Rhode über das Projekt IDEA - Integratives Digitales Erinnerungsarchiv unterhalten. Sie begleitet das Projekt fast von Anfang an von Seiten der Hochschule Furtwangen als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Hier können Sie sich das Interview noch einmal ansehen.