Per Brille in den Untergrund

Forscherteam der Hochschule Furtwangen arbeitet an 3D-Echtzeit-Visualisierungsmodellen

Per Brille in den Untergrund (I24947)

Ein antikes Fundstück betrachten oder gleich gemeinsam durch Katakomben in Italien streifen – an der HFU wird zugunsten von völlig neuartigen Unterrichtserlebnissen geforscht.

Das Problem mit Ausgrabungsstätten antiker Schätze ist: Sie sind in der Regel sehr empfindlich. Und oft sehr weit weg.  Wer also zum Beispiel Archäologie studiert, der kann – gerade auch in Zeiten von Corona – eher nicht damit rechnen, gemeinsam mit Mitstudierenden Denkmäler der Vorzeit zu besichtigen. Oder doch?

Was in Grabungsprojekten und Museen längst gang und gäbe ist, soll nun auch Einzug in die Lehre erhalten: Die Nutzung von 3D-Objektdaten. An der Hochschule Furtwangen leitet Prof. Christoph Müller ein Forschungsteam, das im Projekt „MARBLE“ solche Anwendungen entwickelt. Ausgangspunkt ist dabei die Digitalisierung von Artefakten, die von Laserscannern als „Punktwolken“ aufgezeichnet werden. Aus diesen Daten schafft Müller mit seinem Team neue Unterrichtsmöglichkeiten: Zum Einsatz kommen dabei Augmented Reality-Brillen, die im Gegensatz zu einer Virtual Reality-Variante gewährleisten, dass die Anwendenden weder ihre Gruppe noch die Dozierenden aus dem Blick verlieren. „Wir entwickeln Programmierungen, mit denen das Gruppenerlebnis einer Besichtigung möglich wird“, erklärt Müller.

Aus Punktwolke wird Gruppenerlebnis

Durch Einblendungen in den Brillen erleben die Studierenden gemeinsam zum Beispiel die Begehung einer Ausgrabungsstätte – in Furtwangen werden derzeit unter anderen die Daten der Katakomben von San Gennaro in Italien vorbereitet. „Die Teilnehmenden können sich durch die unterirdischen Anlagen ‚bewegen‘,  je nach Standort bieten sich individuelle Perspektiven, die dann beschrieben werden können“, erklärt Müller. Bis Ende 2022 läuft das im Rahmen des Programms „Teaching4Future with virtual elements“ vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg geförderte Projekt. Die  Ergebnisse sollen beim Projektpartner, der Abteilung für Byzantinische Archäologie an der Universität Freiburg, baldmöglichst eingesetzt werden.

Kooperation mit Fraunhofer

Als Experte für Computergrafik forscht Prof. Müller auch in anderen Anwendungsfeldern an den Möglichkeiten der 3D-Visualisierung. Ob antike Tonscherbe oder ganzes Stadtviertel – Laserscanner und die von ihnen erfassten Punktwolken sind dabei stets die Grundlage. Müller leitet die Arbeitsgruppe „Smarte Datenvisualisierung“, die als Kooperation zwischen dem Fraunhofer Institut für Physikalische Messtechnik (IPM) und der Hochschule Furtwangen ins Leben gerufen wurde. Sein Fraunhofer-Team besteht aus neun Forschenden, auf Hochschulseite sind es zwei Mitarbeitende, die sich der zukunftsweisenden Technik widmen. „Für die Verlegung von Glasfaserkabeln wurden zum Beispiel vom Fraunhofer IPM  entwickelte Laserscanner auf Autos gebaut, um per ‚Mobile Mapping‘ ganze Stadtviertel zu vermessen. Mittels einer speziellen Erkennungssoftware wurden Faktoren wie Bodenbeschaffenheit erkannt“, berichtet Müller. In einem anderen Projekt werden Verläufe von Hausanschlussleitungen erfasst. Diese Daten können Mitarbeitende mit Tablets und selbst entwickelter Software und Sensorik vor Ort aufnehmen, um zu dokumentieren, wo Kabel, Rohre oder Verbindungsanschlüsse verlegt  wurden. 

Einsatz im Bauwesen

Auch im Bereich „Building Information Modeling“ (BIM) ist 3D-Visualisierung ein Forschungsfeld mit riesigem Potenzial. „Deutschland hinkt bei der Nutzung von 3D-Visualisierung im Zusammenhang mit dem Bauwesen noch ziemlich hinterher“, bekennt Müller. Mit seinem Team arbeitet er daran, visuelle Lösungen zum Beispiel für den Einsatz auf Baustellen zu entwickeln. „Es geht um die automatisierte Erkennung von Sachverhalten“, erklärt Müller. Künstliche Intelligenz lernt, in den Scannerdaten Wände und Türen zu erkennen – daraus entstehen Modelle, die Architekten und Bauplanern völlig neue Möglichkeiten erschließen. „In der konkreten Anwendung kann dann auf Baustellen auch ganz leicht eine Bestandsaufnahme gemacht werden, um den aktuellen Zustand mit den Plänen zu vergleichen“, beschreibt Müller. Können diese Pläne dann auch noch direkt in der Visualisierung verändert und bearbeitet werden, spricht man vom Digitalen Zwilling. Für die Baubranche stellt Müller in Aussicht: „Das ist das Ziel!“