Perfektion durch Präzision

Im Kompetenzzentrum für spanende Fertigung der HFU geht es mit Maß- und Formgenauigkeit um nachhaltige und verschleißarme Bauteile

Drehen, Fräsen, Schleifen… es gibt viele Wege, wie man aus einem Materialklotz ein Werkstück fertigen kann. Optimalerweise ergeben diese so genannten spanenden Fertigungsverfahren (also solche, bei denen Späne fliegen) ein Endprodukt, das perfekt passt, buchstäblich reibungslos funktioniert und nie kaputt geht. Die Wahrheit sieht anders aus. In der Industrie müssen in der Regel riesige Summen darauf verwendet werden, Verschleißteile zu ersetzen, die oft in sehr langwierigen und komplizierten Verfahren hergestellt werden. Ganz konkret braucht die Anfertigung einer einzigen keramischen Bremsscheibe für die Automobilindustrie zum Beispiel rund 20 Minuten – und ist dementsprechend kostspielig. Es sei denn, man überlässt diese Bremsscheibe dem Tuttlinger Kompetenzzentrum für spanende Fertigung KSF. Nicht einmal zwei Minuten dauert der Herstellungsprozess hier, und das Ergebnis ist so präzise gefertigt, dass sich zusätzlich ein viel kürzerer Bremsweg ergibt – egal bei welcher Temperatur oder Witterung.

Es klingt ein bisschen nach Zauberei, doch solche Ergebnisse sind dem Forscherdrang nach immer genaueren, feineren Methoden zu verdanken, der die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des KSF antreibt. Allen voran Prof. Dr. Bahman Azarhoushang, Leiter des Forschungsinstituts und Mitglied der Fakultät Mechanical and Medical Engineering der Hochschule Furtwangen. „Wir verfügen hier über eine außergewöhnliche Kombination von Geräten und Anlagen“, berichtet Prof. Azarhoushang, „das gibt es weltweit sonst fast nirgendwo!“ Mehrere Millionen Euro sind die Maschinen und Anlagen wert, die in der großen Maschinenhalle am HFU-Standort Tuttlingen im Einsatz sind und in Schleifprozessen, aber auch durch Dreh- und Fräsbearbeitung, Erodieren oder Laserbearbeitung für verschiedenste Forschungsprojekte Werkstücke erstellen. Nicht nur die Automobil- oder Werkzeugindustrie profitiert von den exakten Ergebnissen, auch für die Medizintechnik werden im KSF neuartige Produkte und Verfahren entwickelt. Prof. Azarhoushang schiebt sich als Beispiel eine Fingerorthese über die Hand und erklärt: „Wenn man sich den Finger bricht, können Orthesen bei der Behandlung eingesetzt werden. Das ist kompliziert, denn sie müssen immer wieder in verschiedenen Neigungswinkeln eingestellt werden, damit die Hand ihre Mobilität nicht verliert. Wir entwickeln gemeinsam mit einem Industriepartner eine Schiene im 4D-Druckverfahren und ein geeignetes Verfahren zur Oberflächenoptimierung. In Zukunft kann der Arzt, oder vielleicht sogar der Patient selbst, die Schiene dann einfach erhitzen, einstellen, und nach ein paar Minuten ist alles wieder fest.“

In Sachen Genauigkeit im Herstellungsverfahren ist die benachbarte Anlage ebenfalls eindrucksvoll. Dort wird im Projekt „SubseaSlide“ ein Bauteil für eine Pumpe hergestellt, nur vermeintlich ein unspektakulärer Vorgang. Denn diese Pumpe soll im Meer in 3000 Metern Tiefe eingesetzt werden. Der Werkstoff besteht zu 50% aus Diamant – dem härtesten Stoff der Welt. Und an einem solchen Standort kann eine Pumpe auch nicht gewartet, ihre Bauteile nicht ersetzt werden. Die Lösung heißt: Perfektion. Bis in den Mikro- und Nanometerbereich können im KSF Maß- und Formgenauigkeit erreicht werden, Oberflächen bearbeitet, feinste Rillen, Vertiefungen und Aussparungen angebracht werden, um jeglichen Abrieb und Verschleiß praktisch auszuschließen. Übrigens auch, um den Einsatz von Schmiermitteln und Emulsionen drastisch zu senken – auch der Umwelt zuliebe lohnt sich Präzision.

Die Forschung an schnell herzustellenden und kostengünstigen Lösungen wird im KSF im  Zusammenspiel mit der Industrie anhand praxisbezogener Problemfälle angestoßen und gefördert.  Zum Beispiel im „Arbeitskreis Schleiftechnologie“, in dem sich die Forschenden gemeinsam mit rund 30 Unternehmen aus allen Bereichen der Herstellungskette überlegen, wie Verfahren immer weiter verbessert werden könnten. Von dem breiten Ansatz und der hervorragenden Ausstattung profitieren nicht zuletzt auch die Studierenden, die im Rahmen von Thesis- oder Doktorarbeiten im KSF mitarbeiten.